Wo ein Miteinander zur Einzigartigkeit führt. Zu Besuch bei Nicolò Paganini, Beerenproduzent und Teil von 100 % Valposchiavo.
Einleitung
In der Valposchiavo ist alles etwas anders. Das Bündner Südtal ist nahezu unberührt und doch überschaubar. Es ist aber auch ein Tal, in dem Zusammenhalt und Ideenreichtum Platz finden, wie kaum sonst wo. Ein Beispiel? Das Projekt «100% Valposchiavo». Wir begleiten Nicolò Paganini, Beerenproduzent und Teil von 100% Valposchiavo, durch seinen Alltag und stellen fest, dass es die natürlichen Dinge sind, die das Leben bedeutsam machen.
Valposchiavo, Graubünden
Von den Gletschern zu den Palmen: Die Valposchiavo schlängelt sich von den Eisriesen des Bernina-Massivs auf über 2‘000 m ü. M. durch raue Landschaften bis zum mediterranen Ort Campocologno auf rund 500 m ü. M. an der Grenze zu Italien. Unverfälschte hübsche Dörfer zeugen mit Kirchen und Palästen von vergangenen Zeiten und wechseln sich mit naturbelassenen Landschaften ab. Das Südtal in Graubünden gilt als Schweizer Vorzeigebeispiel in Sachen lokale Wertschöpfungskette und räumt regionalen Spezialitäten einen ganz besonderen Platz ein.
Weitere Informationen
«In punta di piedi». «Auf Zehenspitzen» bzw. mit Respekt der Natur begegnen.
Zurück zum Wesentlichen.
Es ist frühmorgens, die Sonne hat es soeben über die kargen Bergspitzen geschafft. Die noch milden Sonnenstrahlen erreichen den Lago di Poschiavo. Hier am Seeufer, das von bunt gefärbten Laubbäumen gesäumt ist, steht Nicolò Paganini. Nicolò blickt gedankenverloren über den ebenen See, worin sich die umliegenden Berge spiegeln. Ihre klaren Konturen verlieren sie nur, wenn gerade wieder ein übermütiger Fisch aus dem Wasser springt. Momente wie diese lassen Nicolò an das Wesentliche erinnern: Der Mensch ist ein winzig kleiner Teil dieses riesigen Ökosystems. Die Eingriffe in die Umwelt so sanft wie möglich zu halten, ist unerlässlich.
Beeren treffen auf Welterbe.
Zehn Minuten dauert die Fahrt vom Lago di Poschiavo bis zu Nicolòs Beerenfeld, das weiter im Süden und gut 400 Höhenmeter tiefer liegt. Dort pflücken seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits fleissig die reifen Herbst-Himbeeren. Von Zeit zu Zeit passieren direkt oberhalb des Feldes die roten Wagons der Rhätischen Bahn. Die Bernina-Bahnstrecke gehört seit 2008 zum UNESCO-Welterbe “Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina” und zählt zu den spektakulärsten Bahnstrecken der Welt.
Der Kern der Dinge.
Nicolò packt selbst an, lässt es sich aber auch nicht nehmen, mit seinen Angestellten einen Schwatz abzuhalten: „Für uns Talbewohnerinnen und –bewohner ist der Begriff „Zusammenarbeit“ mehr als ein Schlagwort. Zusammenarbeit ist bei uns Alltag und das Herz des Tales.“
Mit Herzblut für die Valposchiavo.
Nicolò Paganini ist in der Valposchiavo geboren, aufgewachsen und lebt und arbeitet heute in Campascio, einem 200-Seelendorf südlich von Brusio. Der Vollblut-Puschlaver baut seit 2000 auf seinem Landwirtschaftsbetrieb Piccoli Frutti Beeren und Steinobst an, was er zu Fruchtsäften, Konfitüren, Sirup und Essig verarbeitet. Seit neustem kommt Olivenöl hinzu. Er ist Produzent aus Leidenschaft und steht stellvertretend für die rund 60 Betriebe des Tals, die sich dem Projekt “100% Valposchiavo“ angeschlossen haben.
Eine Wertschöpfung fürs ganze Tal.
Mittlerweile haben es die gepflückten Himbeeren bis in Nicolòs Betrieb geschafft. In der Küche werden die fingerhutförmigen Früchte von seinen Angestellten, von denen manche bereits über 20 Jahre Teil des Betriebs sind, sorgfältig zu Konfitüre verarbeitet. Vom Einkochen übers Abfüllen bis zur Etikettierung – alle Schritte erfolgen durch dasselbe kleine Team. Die Konfitüren werden in den Dorfläden den Gästen und Einheimischen und unter der Coop Eigenmarke „Pro Montagna“ verkauft. Tipp: Auf der Berry Tour Campascio können die Beerenfelder und Obstgärten von Piccoli Frutti besichtigt und deren Produkte degustiert werden.
Ein respektvolles Miteinander beginnt bei der Ernte.
Zur selben Zeit läuft in der kleineren Küche des Hauses die Püriermaschine. Nicolòs Ehefrau verarbeitet die frisch geernteten Kastanien zu leckerer Kastaniencrème. Beim Sammeln der Früchte im Grenzdörfchen Campocologno heisst es übrigens nicht „de Schnäller isch de Gschwinder“. Wie alle anderen Familien der Gemeinde hat auch Nicolòs Familie ihre eigenen Kastanienbäume auf Gemeindeboden.
Vom Tal, für das Tal. Für die einen ist es eine Herausforderung, für die Valposchiavo längst Gewohnheit.
„100% Valposchiavo“: ein Gütesiegel für lokalen Genuss.
Gesät, gepflegt, geerntet, verarbeitet und veredelt – und das an demselben Ort. Was früher eine Notwendigkeit war, ist heute alles andere als selbstverständlich. Die Valposchiavo zeigt, dass es immer noch geht. Mit Herzblut und Innovation stellen die Bäuerinnen und Produzenten eine breite Palette an landwirtschaftlichen Produkten her, die zum grossen Teil direkt im Tal veredelt werden. Diese "100% Valposchiavo"-Produkte werden mit Stolz in den Dorfläden verkauft und sorgen bei den Gästen in den lokalen Restaurants für wahre Genussmomente.
Mit 95 % zur Weltspitze.
"100% Valposchiavo" ist ein einzigartiger und innovativer Zusammenschluss zur Stärkung der lokalen Wertschöpfung. Auch einzigartig? Mehr als 95 Prozent der Landwirtschaftsflächen werden von biozertifizierten Bäuerinnen und Bauern bewirtschaftet, womit die Valposchiavo schweiz- und sogar weltweit alleine dasteht! Nicolò befindet sich mit seinem Betrieb mitten in der Umstellung. Für ihn ist dieser Schritt eine Selbstverständlichkeit.
Das Potenzial richtig genutzt.
Die geografische Lage des Tals ist es, die der Valposchiavo die idealen Voraussetzungen für das breite Sortiment der erstklassigen Agrarprodukte schafft: In den Höhenlagen produzieren Alpwirtschaften Alpkäse und Fleisch, während sich auf dem Talboden auf 500 Metern über Meer Gewürzkräuter-, Beeren- und Gemüseplantagen abwechseln. Und nicht zuletzt verdankt das aussergewöhnliche Tal seine Intaktheit dem Ideenreichtum der Puschlaver Bevölkerung.
Gemeinsam Neues schaffen. Nächstes Ziel: Erstes Schweizer Bio-Bergolivenöl.
Eine Lebensweise, die das Tal braucht.
Auf die Frage, was für Nicolò die drei wichtigsten Dinge sind, muss er nicht lange überlegen: Zusammenarbeit und -leben, ökologisches Wirtschaften und eine Portion Innovation. Alles Eigenschaften, die in diesem abgelegenen Tal und der überraschend vielfältiger Vegetation entscheidend sind.
Ideenreichtum gepaart mit besonderen geografischen Bedingungen.
Vor seinem Betrieb, der auch über vier hübsche Gästezimmer verfügt, trifft Tiziano ein. Der Freund der Familie hat an den östlichen Hängen von Campascio vor einigen Jahren 40 Olivenbäume gepflanzt. Auf dem Weg zum Olivenhain unterhalten sich die beiden Puschlaver angeregt in Pusc’ciavin, dem lokalen italienischen Dialekt. Der Standort hat sich als ideal erwiesen: Die Trockenmauern und die südliche Exposition lassen die Bäume prächtig gedeihen. Erste gesunde Früchte in den Händen zu halten, ist der Beweis.
Ein gemeinsames Ziel für die Valposchiavo.
Gemeinsam möchten die beiden Männer an diesem Erfolg anknüpfen. 300 weitere Olivenbäume sind in Planung. Dafür dienen die durch Trockenmauern befestigte Terrassierungen an der steilen Bergflanke, die bis in die 80er-Jahre dem Anbau von Gemüse und Früchte und später Tabak dienten. Die 300 Olivenbäume werden etwa 1000 Liter Olivenöl ergeben. “Das Olivenöl aus der Valposchiavo wäre somit das erste Schweizer Bio-Bergolivenöl“, erklärt Nicolò stolz.
Nachhaltig beeindruckt. Faszination, die nicht von ungefähr kommt.
Ausserordentlich erlebenswert.
Rau, echt, herzlich: Die Worte, die das Tal beschreiben, gehen alle in dieselbe Richtung. Ihre Abgeschiedenheit, ihre wilde Natur und ihre Nähe zu Italien mit den von farbenfrohen Häusern umgebenen Piazzi, lokalen Köstlichkeiten und der liebenswerten Bevölkerung, die dem Begriff "Zusammenhalt" eine wahrhafte Bedeutung geben, machen die Valposchiavo zu einem Exoten der Schweiz, der entdeckt werden will.