Die Stimmen der Wildnis Zur Hirschbrunft in die Val Trupchun

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Einleitung

Wenn sich die Lärchen langsam goldig verfärben, beginnt im Schweizerischen Nationalpark die spannendste Zeit des Jahres: die Hirschbrunft. Besonders eindrücklich lässt sich das Spektakel in der Val Trupchun beobachten. Nationalparkwächter Domenic Godly gibt Details über die Hirschbrunft und erzählt von seiner Leidenschaft für seinen Beruf.

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Unberührte Natur, einzigartige Flora und Fauna sowie eine Vielzahl von Wildtieren - Graubünden bietet eindrückliche Natur. Besonders im Herbst lohnt sich eine ausgedehnte Wanderung kombiniert mit einer Wildbeobachtung.

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Es herbstet

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Es ist früher Morgen an einem lauen Septembertag. Domenic Godly schultert seinen Rucksack und macht sich bereit für den Arbeitstag. Es ist nichts zu hören ausser dem Gezwitscher der Vögel und dem Rauschen des Baches. Doch die Ruhe wird plötzlich von einem lauten Geräusch unterbrochen. Es klingt fast wie das Brüllen eines Bären. Doch Domenic Godly entwarnt: «Das sind die Hirsche. Es ist die Zeit der Hirschbrunft.»

Domenic Godly, Nationalparkwächter

Seit rund 25 Jahren ist Domenic als Parkwächter im Schweizerischen Nationalpark tätig. Der Job im schönsten Naturreservat der Schweiz ist einer der seltensten des Landes. Und die Tätigkeit überraschend vielfältig: Neben der Überwachung der Wildbestände und Pflanzen gehören auch die Pflege der Nationalparkinfrastruktur sowie die Information der Gäste dazu. Immer wichtiger werden Forschungsprojekte.

 

Strammen Schrittes wandert Domenic los. Den Weg in die Val Trupchun kennt er wie seine Hosentasche. Das Tal ist «sein» Gebiet und es gehört zu seinen Aufgaben, alles in Stand zu halten. Die Frage, ob das nicht langweilig ist, so häufig ins gleiche Tal zu wandern, verneint Domenic. «Ich entdecke immer noch jeden Tag etwas Neues. Bei dieser Lärche waren die Äste gestern noch grün. Heute sind sie bereits etwas heller. Der Winter naht.» Tatsächlich schimmern in den Wäldern erste Gelbtöne durch und die alpinen Matten erscheinen blasser. 

Die Hirschbrunft

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Bevor der Winter eintrifft, findet in der Val Trupchun ein ganz besonderes Naturschauspiel statt. Jedes Jahr zwischen Ende September und Anfang Oktober ist die Paarungszeit der Hirsche. Auch bekannt als die Hirschbrunft. Die Könige der Wälder buhlen mit ihrem imposanten Geweih und dem tiefen Röhren um die Gunst der Weibchen. Während die Hirsche ihre Dominanz in der wilden Natur behaupten, erfüllen sich die Bergtäler mit ihrem eindringlichen Ruf. Und dieser geht durch Mark und Bein. Die Hirschbrunft zeigt die Wildnis von Graubünden in ihrer reinsten Form. Und zieht zahlreiche Besuchende an. 

Besonders während der Hirschbrunft ist das Tal ein beliebtes Ausflugsziel. Einzelpersonen, Familien, Schulklassen, Seniorenausflüge – täglich wandern Dutzende in die Val Trupchun. Die Senda Val Trupchun beginnt in Varusch und führt auf einem Rundweg bis zur Alp Trupchun und wieder zurück. Unterwegs laden verschiedene Rastplätze zum Verweilen und Tiere beobachten ein. «Es ist immer wieder schön zu sehen, wie interessiert Gross und Klein sind,» sagt Domenic. Seine Leidenschaft für den Beruf Parkwächter ist spürbar. 

 

Domenic nimmt sich gerne Zeit für die Gäste und teilt sein breites Wissen über Flora und Fauna.
  • 14 Kilometer ist die Rundwanderung vom Parkeingang bis zur Alp Trupchun.
  • 4 Stunden reine Laufzeit sind die Gäste unterwegs.
  • 400 Höhenmeter heisst es zu überwinden und ist auch für Kinder gut geeignet.

Im September steigt der Hormonspiegel der Stiere. Je kühler und regnerischer das Wetter, umso aktiver sind die Hirsche. Die dominaten Tiere, auch Platzhirsche genannt, suchen sich ihre Gruppe von Hirschkühen. Dieses Harem gilt es zu begatten und gegen Nebenbuhler zu verteidigen. Und warum das laute Röhren? «Das machen sie, um den Konkurrenten zu zeigen, wer hier der Boss ist und wessen Harem es ist.» erklärt uns Domenic. 

Das Röhren als Ausdruck der Dominanz

Tatsächlich nutzen die Hirsche das Röhren als Kommunikationsmittel zwischen den Stieren. Während der Brunftzeit produzieren die männlichen Hirsche tiefe, melodische Rufe, die über weite Distanzen gehört werden können. «Jeder Hirsch hat eine individuelle Stimme,» sagt Domenic. Er kann genau ausmachen, wo welcher Platzhirsch ist. Mit dem Röhren markieren die Hirsche ihr Revier, etablieren ihre Dominanz und locken Weibchen an. Darüber hinaus ermöglicht das Röhren den Hirschen, sich untereinander zu identifizieren und soziale Bindungen zu stärken. 

Faszination Hirschkampf

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Und wie oft kämpfen zwei Hirsche? Domenic schmunzelt und antwortet: «Es kommt nicht so häufig zum Kampf, wie man denkt.» Denn ein solcher bedeutet immer eine grosse Verletzungsgefahr und kostet enorm viel Energie. Platzhirsche haben ihre Taktiken, um ihr Revier zu markieren. Eines davon ist das Röhren. Darüber hinaus sondern die Hirsche ein übelriechendes Sekret aus der Voraugendrüse ab. Das Parfüm der Hirsche, wie Domenic es lieblich nennt, wird an Sträuchern und Bäumen abgesetzt und so das Revier markiert. Auch das Aufwühlen des Bodens mit dem Geweih gehört zu den typischen Brunftritualen. So werden vor allem jüngere Hirsche eingeschüchtert. 

Domenic zeigt auf die andere Talseite. «Schaut, da gehen zwei starke Hirsche parallel.» Er erklärt, dass hier ein kampfwilliger Konkurrent in den Brunftplatz eines Platzhirsches eingedrungen ist. Zuerst schreiten die beiden im Imponierschritt parallel zueinander. Wenn beide Gegner standhaft bleiben, kommt es zum Kampf. Dann prallen die Hirsche frontal mit den Geweihen aufeinander und schieben sich über den Brunftplatz. Der Kampf endet, wenn einer der Gegner seine Unterlegenheit spürt und flieht. Sehr selten wird einer der Rivalen im Kampf getötet. 

Wildes Duell

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Die beiden Hirsche auf der anderen Talseite sind in Kampfstimmung. Nach kurzer Zeit des Parallel-Laufens gehen sie frontal aufeinander los. Domenic macht die Gäste am Rastplatz auf den Kampf aufmerksam. Gespannt schauen Gross und Klein auf die andere Talseite und beobachten den Kampf. Es geht heftig zu und her. «Die beiden sind ziemlich ähnlich stark, ein spannender Kampf», meint Domenic. Die Stiere drücken sich von rechts nach links, den Berg hoch und runter. Da rollt ein Stein den Berg runter und Äste brechen ab. 

Am Ende siegt der Stärkere

Beim Kampf kann es nur einen Gewinner geben. So schnell das Kräftemessen begonnen hat, so schnell ist es wieder vorbei. Sichtlich erschöpft und ausser Atem trennen sich die beiden Stiere. Der Gewinner ist der Hirsch mit den besten körperlichen Voraussetzungen, nicht unbedingt jener mit dem grössten Geweih. Als Sieger hat er Anspruch zur Paarung mit den Weibchen. So folgt der Stier den brünftigen Kühen, bis diese die Paarung zulassen. «Die Frauen entscheiden», sagt Domenic grinsend. Tatsächlich akzeptieren die Kühe auch in paarungsbereitem Zustand nicht jeden Partner. Sie wählen aktiv «ihren» Hirsch aus.  

Das Leben im Rudel

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Nach der Brunft verlassen die meisten Hirsch Mitte Oktober den Schweizerischen Nationalpark. Die Tiere überwintern an den Sonnenhängen der Haupttäler im Engadin und Münstertal. Während der Brunftzeit kommen die Platzhirsche und das Kahlwild, die weiblichen Tiere, zusammen. Die restliche Zeit des Jahres leben sie in geschlechtergetrennten Rudeln. Die Kahlwildrudel bestehen aus Muttertieren und deren Nachwuchs der letzten Jahre. Der männliche Nachwuchs verlässt das Mutterrudel nach ungefähr 2 Jahren und schliesst sich einem Hirschrudel an. So kann er von den erfahrenen Tieren lernen und stark werden.

Die weiblichen Jungtiere bleiben bei der Mutterherde. Nach ungefähr zwei bis drei Jahren ist das Tier geschlechtsreif. Inzucht sei aber kein Problem, sagt Domenic. «Die Brunft ist unglaublich anstrengend für die Stiere. Nach drei Jahren wird ein Platzhirsch oftmals von einem stärkeren Tier abgelöst.» So wird auf natürliche Art und Weise geregelt, dass ein Hirsch nicht seine weiblichen Nachkommen begattet.

Wildarena Val Trupchun

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Die Val Trupchun ist ein Eldorado für die Beobachtung der Hirschbrunft. In diesem Tal im Schweizerischen Nationalpark sind die Tiere dank Wegegebot geschützt vor menschlicher Störung. Ausserdem gibt es sehr viel nahrhaftes Gras und andere Pflanzen. Die leicht verwitternden Allgäuschichten sorgen in der Val Trupchun dafür, dass sich der Boden schnell in Hummus umwandelt. Dieser nimmt viel Flüssigkeit auf und ist nahrhaft. «Auch jetzt im Herbst sind die Wiesen noch grün und das Rotwild findet viel Futter», ergänzt Domenic. Die Val Trupchun ist der optimale Sommereinstand für die Hirsche. 

Wilde Bewohner

Doch in der Val Trupchun lebt nicht nur Rotwild. Hier tummeln sich auch Steinböcke, Gämse, Murmeltiere und seltener Bartgeier und Steinadler. Während der Hirschbrunft ziehen sich die anderen Bewohner etwas zurück, sie meiden die Brunftplätze und bereiten sich auf den Winter vor. Domenic beobachtet, wie zwei feisse Murmeltiere trockenes Gras in ihre Höhle tragen. «Das brauchen sie, um die 7 Monate im Winterschlaf zu überstehen», meint Domenic.  

Der Schweizerische Nationalpark

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Mit seiner Fläche von 170 Quadratkilometer ist der Schweizerische Nationalpark das grösste Naturschutzgebiet der Schweiz. Der im Jahr 1914 gegründete Schweizerische Nationalpark ist der älteste Nationalpark der Alpen. Es ist ein Fleck Erde, der sich selbst überlassen ist. Ein Ort, wo der Mensch nicht eingreift und sich die Natur nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln kann.

Weitere Informationen

Und was machen Parkwächter im Winter?

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Wenn sich die Tierwelt dem Winterschlaf widmet, beginnt auch für die Parkwächter eine ruhigere Zeit. Der Schweizerische Nationalpark ist für Besucher und Besucherinnen im Winter geschlossen. Werden die Tiere nicht vom Menschen gestört, erhöhen sich ihre Lebenschancen. So wird keine unnötige Energie für die Flucht verschwendet. Domenic und seine Arbeitskollegen verbringen den Winter zum Grossteil im Büro. Jetzt ist Zeit für administrative Arbeiten und Forschung. Doch für Domenic ist dieses Jahr speziell: nach 25 Jahren als Parkwächter, darf er in den wohlverdienten Ruhestand. 

Für mich war es einer der schönsten Berufe, den ich ausüben durfte.
Domenic Godly, Parkwächter im Schweizerischen Nationalpark
Nächstes Jahr wird Domenic nicht mehr so häufig in der Val Trupchun anzutreffen sein.

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