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Eine Nacht über dem Abgrund.

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Einleitung

Unter ihr geht es 250 Meter in die Tiefe, über ihr funkelt der Sternenhimmel: Bergsteigerin Lea Bärfuss schläft das erste Mal in der senkrechten Felswand. Eine Nacht am Limit. 

Engadin St. Moritz

Die Ferienregion Engadin St. Moritz liegt auf der Alpensüdseite der Schweiz, und 1800 m ü. M. Engadin St. Moritz ist dank der einzigartigen Harmonie seiner Seenlandschaft als «Festsaal der Alpen» bekannt. Das Tal weist überdurchschnittlich viele Sonnentage auf, hat Mineralquellen und ein angenehmes trockenes Klima. Das Gebiet rund um die Diavolezza ist ein Wander- und Kletterparadies. Die Gletscherlandschaft ist einzigartig.

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Da ist nur das Rauschen des Gletscherbaches. Sonst nichts. Lea Bärfuss schlummert in der Westwand des Piz Trovat. Ihr Leben hängt an einem starren Rahmen aus Aluminiumstangen, dazwischen ist ein Stoff gespannt. Über ihr eine Zeltplane. Sie und Bergführer Marcel Schenk sind gesichert, die ganze Nacht. Portaledge nennt sich das und es ist, vereinfacht gesagt, eine Methode zum Biwakieren in Felswänden.

Lea ist eine erfahrene Kletterin und Berggängerin. Immer wieder zieht es sie in die Berge. Übernachtet in einer Felswand hat sie noch nie. Bis jetzt. Von der Diavolezza zieht sie los mit Bergführer Marcel und wandert bis zum Gipfel des 3146 Meter hohen Piz Trovat. Die beiden dringen immer weiter ein in die karge, schroffe Steinlandschaft, die an Aufnahmen vom Mars erinnert. Die hochalpine Wanderung dauert etwas weniger als eine Stunde.

Nach dem steilen Schlussaufstieg eine erste Belohnung: Eine Rundumsicht, die es in sich hat. Vor allem das Berninamassiv wirkt auf die beiden ein. Der frisch verschneite Piz Palü und der Piz Bernina mit seinen 4049 Metern überragen alles. Unter ihnen ruht der Persgletscher. Das Engadin zeigt sich mit seiner vollen Wucht, seiner ganzen Wild- und Schönheit zugleich.

Zwischen Himmel und Erde.

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Vom Gipfel steigen sie hinein, in den Klettersteig Piz Trovat II, einem Klettersteig für «Cracks», der sich in sehr (K5) bis extrem (K6) schwierigem Gelände befindet. Für Lea und Marcel ist das «gewohntes Terrain». Sie sichern sich mit ihren Klettergurten – den Gstältli – und ihren Karabinern am Drahtseil. Geschickt klettern sie rückwärts die Wand hinunter. Die Bizeps-Wall und längere überhängende Abschnitte meistern sie mühelos.

Marcel tut das Ganze mit seinem 20 Kilogramm schweren Portaledge auf dem Rücken. Sein übergrosser Rucksack wirkt wie ein Fremdkörper in der Engadiner Bergwelt. Mitten in der senkrechten Wand stoppt er und beginnt seelenruhig das Portaledge aufzubauen. Im Seil hängend, setzt er die Aluminiumstangen zusammen, spannt den Stoff, wirft das Zelt über die Konstruktion. Jeder Handgriff sitzt, jeden Knoten schnürt er perfekt. Marcel ist hochkonzentriert, es wird wenig geredet. Lea hilft ihm und bereitet sich innerlich auf die bevorstehende Nacht vor.

Auch wenn sie sehr viel Zeit in den Bergen verbringt, ist eine Nacht in der Felswand etwas Spezielles für sie.

Am meisten gespannt bin ich auf die Geräusche der Nacht und ich frage mich, wie viel ich schlafen werde.
Lea Bärfuss

Nervös sei sie nicht, aber neugierig.

Magisches Spektakel.

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Das Nachtlager hängt. Über dem Portaledge 90 Meter Felswand, darunter 250 Meter. Lea und Marcel machen es sich bequem. So bequem es in einem Portaledge geht. Marcel packt einen Gaskocher aus und macht Kaffee. Der Duft breitet sich am Felsen aus. Doch damit nicht genug. Wenig später kocht der erfahrene Spezialist für Lea Chicken Tikka Masala und Chili sin Carne. Es ist keine Gourmetküche, doch an dieser exponierten Lage schmecken die Gerichte so oder so. Wolkenschleier haben sich an den Gipfeln festgesetzt, das Licht verändert sich, bald verschwindet die Sonne.

Ein Adler schwebt beinahe geräuschlos der Felswand entlang und nahe am Nachtlager vorbei. Bergdohlen ziehen ihre Kreise und setzen ihre krächzenden Rufe ab. Es wird kalt in der Wand. Die Temperatur sinkt in den einstelligen Bereich. Lea und Marcel schnüren ihre Schlafsäcke enger. Es ist nun dunkel. Ihre Stirnlampen sind die einzigen Lichtquellen weit und breit. Sie löschen diese und strecken ihre Köpfe aus dem Zelt. Über ihnen hat ein magisches Naturschauspiel begonnen. Sterne überall. Es ist eine klare Nacht, die Gestirne scheinen heller zu leuchten als sonst.

Lea und Marcel geniessen das Spektakel still. Dann zippen sie den Reissverschluss zu – und da ist nur noch Dunkelheit. Aber keine Stille. Ständiger Begleiter durch die Nacht ist das Rauschen des Gletscherbachs, der 400 Meter weit entfernt vom Portaledge ins Tal fliesst. Irgendwann das Knacken eines Gletscherabbruchs in der Ferne. Später ist der Aufprall eines Steins zu hören. Sonst nur der Bach, kein Zeitgefühl.

Gigantisches Farbenspiel.

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Lea setzt sich auf und öffnet das Zelt. Ihr erster Blick geht direkt zum Berninamassiv, das sich bläulich zu verfärben beginnt. Unter ihr dieser Schlund, über dem sie die Nacht verbracht hat. Der Tag breitet sich aus. Aus dem Blau wird eine Art Orange, dann tauchen die Sonnenstrahlen die Berge in ein gelbliches Licht. Das Farbenspiel ist gigantisch. Die Gipfel, die Felswände, die Gletscher sehen ganz anders aus als bei Abendlicht. Es herrscht Friede. Die Art von Frieden, wie man ihn nur in den Bergen findet.

Wenn du dort in dieser Felswand sitzt, umgeben von Bergen, dann kommst du dir enorm klein vor – die Elemente haben eine überwältigende Kraft.
Lea Bärfuss

Näher an der Natur geht kaum. Es ist ein Moment, den man gerne festhalten würde. Nach einem Morgenkaffee und einem einfachen Frühstück halten sich die beiden wieder an der Felswand fest. Rasch ist das Material zusammengeräumt und auf dem Rücken von Marcel verstaut. Die Erinnerungen hingegen bleiben. Im Tal spricht Lea von einer Nacht, die sie gerne wiederholen würde. Wie viel sie geschlafen hat, kann sie nicht sagen. Sie wirkt allerdings entspannt und ausgeruht.