Ein perfekter Plan für St.Gallen. Der 1200 Jahre alte Klosterplan ist die neue Attraktion im UNESCO Weltkulturerbe.
Einleitung
Er ist das Wahrzeichen der Stadt: der St.Galler Stiftsbezirk mit seiner barocken Kathedrale. Seit kurzem ist hier auch der originale Klosterplan aus dem Jahr 825 zu sehen, der bisher nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war.
St.Gallen
Die überschaubare Metropole der Ostschweiz zwischen Bodensee und Appenzellerland hat eine reizvolle, verkehrsfreie Altstadt. Typisch sind die bunt bemalten Erker. Der Stiftsbezirk mit Kathedrale und Stiftsbibliothek gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Wir schreiben das Jahr 612.
Der irische Wandermönch Gallus macht sich von Arbon am Bodensee auf den Weg ins heutige St.Gallen, um hier als Eremit zu leben. Aus dieser kleinen Einsiedelei entstand schon bald ein Kloster, um welches nach und nach die Stadt St.Gallen wuchs.
1400 Jahre Kulturgeschichte
Ohne Gallus hätte es also das Kloster und die Stadt St.Gallen nie gegeben. Zwar wurde das Benediktinerkloster im Jahr 1805 aufgehoben. Aber der Geist der Benediktinermönche ist noch heute überall in der Stadt spürbar. 1983 wurde der St.Galler Stiftsbezirk zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, mit seiner weit über ein Jahrtausend alten Kloster- und Kulturgeschichte. Seine Sammlung von Zeugnissen und Dokumenten aus dem Frühmittelalter gehört zu den bedeutendsten Europas.
Gallus, der Gründer von St.Gallen, kommt aus Irland. Und die Iren waren Leute, die im übertragenen Sinne fliegen konnten. Sie flogen hierher nach Europa, sie waren in einer idealistischen Welt unterwegs, die uns noch heute fasziniert.
Er hat den schönsten Job der Welt. Cornel Dora, Stiftsbibliothekar von St.Gallen.
Wo früher die Benediktinermönche leise am Werk waren, ist er heute eine der zentralen Personen: Cornel Dora. Der gebürtige St.Galler und promovierte Historiker ist seit 2013 Stiftsbibliothekar von St.Gallen. Und Cornel Dora ist überzeugt, dass er den schönsten Job der Welt hat. Und dies wohl nicht ganz zu Unrecht.
170’000 Bände in der «Seelenapotheke»
Die St.Galler Stiftsbibliothek, das Herzstück im UNESCO Kulturwelterbe, gilt mit ihrem Barocksaal als eine der prächtigsten und schönsten Bibliotheken der Welt. Hier lagert ein kultureller Schatz sondergleichen: Die sogenannte «Seelenapotheke» zählt nicht weniger als 170 000 Bücher und 2000 Originalhandschriften aus dem Mittelalter.
Es gibt kaum etwas Schöneres auf dieser Welt, das von Menschen geschaffen wurde, als dieser Saal.
Neue Attraktionen im Stiftsbezirk.
Seit 2019 kann sich Cornel Dora über zwei weitere Höhepunkte im Stiftsbezirk freuen. So wurde der Gewölbekeller der Stiftsbibliothek mit modernster Technologie zu einem interaktiven Ausstellungsraum umgebaut. Im Fokus steht hier die Entwicklung der europäischen Kulturgeschichte in den letzten 1400 Jahren. Klöster wie jenes in St.Gallen waren massgeblich daran beteiligt – sei es in Schrift, Sprache, Musik, Architektur, Kunst oder Spiritualität.
Doch das ist noch nicht alles. In einem neuen Ausstellungssaal zeigt auch das St.Galler Stiftsarchiv, das nebst der Bibliothek als zweite wichtige Sammlung besteht, Kostbarkeiten aus seinen Beständen. Der Schwerpunkt liegt hier auf Schriftstücken, Karten und Urkunden zur Geschichte von St.Gallen im Frühmittelalter. Es ist die bedeutendste Sammlung solcher Dokumente nördlich der Alpen.
Es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, wo die Zeit von 700 bis 1100 so gut dokumentiert ist wie in St.Gallen.
Der Star der Ausstellung ist 1200 Jahre alt.
Der eigentliche Höhepunkt der Ausstellung wird in einem separaten Raum präsentiert: der berühmte St.Galler Klosterplan der Stiftsbibliothek aus der Zeit um 825. Er gilt als die bedeutendste Architekturzeichnung des europäischen Mittelalters. Allerdings enthüllt er sich dem Besucher nur für ein paar Sekunden: Das wertvolle Dokument muss vor zu starkem Lichteinfall geschützt werden. Obwohl der ursprüngliche Plan nie vollständig umgesetzt wurde, so zeigt sich das geplante Grundraster heute in Ausgrabungen. Auch der Grundriss der Kathedrale entspricht nach wie vor dem Raster, das man vor über 1000 Jahren auf dem Plan festgelegt hatte.
Es ist ein extrem gut gemachter Plan für eine Gemeinschaft von Menschen, wie sie hier um das Jahr 825 gelebt hat.
Die St.Galler und ihre Bierkultur. Ein kleiner Exkurs.
Für vieles, was die Essenz von St.Gallen noch heute ausmacht, wurde vor über 1000 Jahren der Grundstein gelegt: sei es Städtebau, Kunst, Wissenschaft – aber nicht zuletzt auch die St.Galler Bierkultur.
Bereits auf dem Klosterplan sind die drei ältesten, als Plan festgehaltenen Brauereien eingezeichnet. Das St.Galler Stiftsarchiv verfügt über die älteste Urkunde nördlich der Alpen, wo Bier als Zinsleistung dokumentiert ist. Und die St.Galler Brauerei Schützengarten, die das berühmte St.Galler Bier produziert, wurde bereits 1779 gegründet und gilt somit als älteste Brauerei der Schweiz.
