St.Gallen als Schatzkammer des Wissens. Eine Spurensuche mit Philippe Narval.
Einleitung
St.Gallen ist seit über tausend Jahren ein Ort des Wissens, wo wertvollste Handschriften gesammelt und aufbewahrt werden. Diese Tradition wird an der Universität St.Gallen fortgeführt. Der neue Campus SQUARE ist ein beeindruckendes Learning Center und möglicher Prototyp für die Hochschule der Zukunft. Zusammen mit dem Intendanten Philippe Narval begeben wir uns auf eine Spurensuche zu den Wissensstandorten der Stadt.
St.Gallen
Die Metropole der Ostschweiz zwischen Bodensee und Appenzellerland hat eine reizvolle, verkehrsfreie Altstadt. Typisch sind die buntbemalten Erker. Der Stiftsbezirk mit Kathedrale und Stiftsbibliothek ist UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Zukunft des Lernens
Mit dem SQUARE an der Universität St.Gallen wurde ein Prototyp für die Hochschule der Zukunft geschaffen. Das Gebäude des japanischen Architekten Sou Fujimoto ist ein Ort der Begegnung für kluge Köpfe aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft, die in einen Dialog mit der Öffentlichkeit treten und sich gegenseitig inspirieren. Für Dozierende und Studierende bietet SQUARE eine offene Lernumgebung, in der sich alle auf den offenen Galerien treffen und gemeinsam lernen können.
Seit Anfang 2022 ist Philippe Narval der Intendant dieses Innovationsraums. Geboren 1977 in Österreich, absolvierte er seine Schulbildung am Lester B. Pearson United World College in Kanada und erwarb seinen Abschluss in Geschichte und Bildungswissenschaften an der Universität Oxford und dem King's College London. Narval hat in verschiedenen Ländern im Management von internationalen NGOs, Sozialarbeit und unabhängigen Kulturorganisationen gearbeitet. Mit der Leitung von SQUARE beginnt für ihn ein neues Kapitel seiner Karriere.
Kunst und Wissenschaft im Dialog. Zu Besuch in der Kunstbibliothek der Stiftung Sitterwerk.
Während des Rundgangs durch den SQUARE zeigt Philippe Narval ein Kunstwerk einer Schweizer Künstlerin namens «Through the forest of thorns, a single path» von Mai-Thu Perret. Dieses Kunstwerk wurde in der Kunstgiesserei der Stiftung Sitterwerk in St.Gallen hergestellt. Die Kunstgiesserei ist eine grosse Werkstatt, die im Auftrag von Künstlerinnen und Künstlern, Galerien und Museen plastische Kunstwerke produziert und restauriert.
In der Kunstbibliothek des Sitterwerks befinden sich rund 30.000 Bücher über Skulptur, Architektur, Fotografie und Materialkunde. Dank Digitalisierung sind alle Bücher inventarisiert und können ständig anders sortiert werden. Im selben Raum gibt es zudem ein Werkstoffarchiv, sodass Materialproben und Bücher gemeinsam genutzt werden können. Die Bibliothek verfügt über eine einzigartige Sammlung zur Kunst, Produktion, Handwerk und Materialität und ist öffentlich zugänglich.
Verwoben mit St.Gallen: Die Textilindustrie.
Der Architekt Sou Fujimoto hat sich bei der Gestaltung der Deckenplatten im SQUARE von St.Galler Spitze inspirieren lassen. Das ist keine zufällige Referenz, erklärt Philippe Narval, denn St.Gallen verdankt einen Grossteil seines Fortschritts der Textilindustrie. Im Textilmuseum St.Gallen wird diese Geschichte lebendig. Es beherbergt eine der größten Textilsammlungen der Schweiz und zeigt interessante Ausstellungen von historischen Stickereien und Spitzenzentren sowie zeitgenössischer Textilkunst.
Besonders beeindruckend ist auch die Textilbibliothek im ersten Obergeschoss des Textilmuseums, die eine breite Auswahl an Büchern, Katalogen und Vorlagen zum Thema Textil bietet. Ein Besuch lohnt sich auch wegen des prächtigen Saals im Stil des Historismus. In den Vitrinen und Schränken werden Hunderte von Musterbüchern, Modezeichnungen und -fotografien aufbewahrt. Ausgewählte Musterbücher, die zur Ansicht in der Textilbibliothek ausliegen, vermitteln einen Eindruck von der Schönheit und Vielfalt der Ostschweizer Maschinenstickerei.
Eine Bibliothek von Weltrang. Zu Besuch im Barocksaal der Stiftsbibliothek St.Gallen.
Ob Textilindustrie, Kunstproduktion oder Hochschule: all das würde es nicht geben, wenn der irische Wandermönch Gallus nicht mit der Gründung des Benediktinerklosters die Grundlagen für die Gründung der Stadt St.Gallen gelegt hätte. Der Stiftsbezirk St.Gallen mit der prachtvollen barocken Stiftskirche bildet ein einzigartiges historisches Ensemble. Herzstück ist die Stiftsbibliothek, die zu den ältesten und schönsten Bibliotheken der Welt zählt.
Ihr Bücherbestand ist über tausend Jahre gewachsen und enthält wertvollste Handschriften. Die Bibliothek umfasst heute 170'000 Bücher, davon sind 50'000 im prachtvollen Barocksaal ausgestellt, wo auch die 2700 Jahre alte ägyptische Mumie «Schepenese» zu finden ist. Die Stiftsbibliothek wurde zusammen mit dem Stiftsbezirk 1983 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Philippe Narval betont, dass das Benediktinerkloster eine entscheidende Rolle bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der gesamten Region spielte. Heute, wie vor tausend Jahren, ist die Förderung von Wissen und Innovation unverzichtbar für die Schaffung von Innovationen in der Gesellschaft und Wirtschaft. In diesem Sinne sind die Prinzipien des Benediktinerklosters auch heute noch relevant und von entscheidender Bedeutung für die Zukunft.